Diagnostik

Written by Maike Dohrn, MD, RWTH Aachen University Hospital, Aachen, Germany

Anamnese

Mit „Anamnese“ ist ein Arzt-Patienten-Gespräch gemeint, das dazu dient, bestimmte Symptome und mögliche Ursachen einer Neuropathie in Erfahrung zu bringen. Hierdurch kann die Ärztin/der Arzt bereits frühzeitig feststellen, worauf bei der weiteren Diagnostik geachtet werden muss. Systematisch erfragt werden typischerweise der Charakter, die Stärke und der Beginn der Symptomatik, die betroffenen Körperregionen sowie mögliche verstärkende oder lindernde Faktoren.

Klinisch-neurologische Untersuchung

In dieser körperlichen Untersuchung wird die Ärztin/der Arzt zunächst die entkleideten Arme und Beine im Hinblick auf Wundheilungsstörungen, Störungen der Muskelarchitektur, Deformitäten und Schwellungen untersuchen. Anhand von unterschiedlich beschaffenen Hilfsmitteln wie einem Wattebausch oder einer Stimmgabel werden das Berührungs-, Temperatur-, Vibrations- und Lageempfinden sowie die Spitz-Stumpf-Unterscheidungsfähigkeit getestet. Die Gangbildprüfung liefert Aufschluss über das Vorhandensein einer Gleichgewichtsstörung oder einer Stolperneigung. Bei Beklopfung definierter Muskelsehnen erloschene oder reduzierte Muskeleigenreflexe sind typisch. Muskellähmungen werden durch gezieltes Gegenhalten gegen die Hand des Untersuchers erfasst. Die klinische Untersuchung kann manchmal anstrengend sein, sie ist aber nicht schmerzhaft und keinesfalls gefährlich.

Elektrophysiologische Untersuchung

Um zu verstehen, wie gut die Nerven funktionieren, wird im Rahmen der Routinediagnostik eine Neurographie, d.h. Nervenmessung, durchgeführt. Bestimmt werden kann u.a. die Höhe der Reizantwort, aber auch die Nervenleitgeschwindigkeit. Da hierfür Strom appliziert werden muss, ist dieser Teil der Untersuchung unangenehm. Die eingestellten Stromstärken sind allerdings bewusst so gewählt, dass sie nicht schädlich oder gefährlich sind. Für die ursächliche Einordnung einer Neuropathie ist diese Diagnostik nach wie vor sehr wichtig.

Quantitativ Sensorische Testung (QST)

Mit dieser Art der sensiblen Testung kann die Untersucherin/der Untersucher herausfinden, ab welcher Reizstärke Patienten z.B. einen warmen Reiz als warm oder einen spitzen Reiz als spitz identifizieren können. Es werden hierfür warme, kalte, spitze, stumpfe, weiche und harte Reize mit im Vorfeld definierter Intensität auf die Haut aufgebracht. Diese Untersuchung ist nicht gefährlich oder schädlich.

Autonome Funktionsdiagnostik

Ein einfacher Test zur Beurteilung einer autonomen Kreislaufstörung ist z.B. der Schellongtest, im Rahmen dessen Blutdruck und Puls zunächst im Liegen und anschließend im Stehen gemessen werden.  In unklaren Fällen kann ergänzend eine Kipptischuntersuchung durchgeführt werden. Hierbei soll durch passive Aufrichtung des Körpers beim Kippen der Liege die Antwort des Nervensystems auf die Auswirkungen Schwerkraft beurteilt werden. Gut untersucht werden kann zudem die Schweißproduktion der Haut, wofür verschiedene, nicht-schmerzhafte Verfahren zur Verfügung stehen.

Nervensonographie/Ultraschalluntersuchung

Mithilfe der Nervensonographie können oberflächlich gelegene Nerven im Hinblick auf ihre Dicke und Binnenstruktur untersucht werden. Manchmal lassen sich lokalisierte oder generalisierte Schwellungen und Auftreibungen feststellen. Da auch die Umgebung der Nerven abgebildet wird, können dort gelegene Prozesse wie Raumforderungen mit beurteilt werden. Die Untersuchung ist nicht schmerzhaft und kann leicht wiederholt werden.

Mikroskopische Beurteilung von Biospiegewebe (Nerven- oder Hautbiopsie)

Manchmal ist es hilfreich, sich potentiell geschädigte Nerven unter dem Mikroskop anzusehen, um das Schädigungsmuster besser zu verstehen. In lokaler Betäubung werden Haut- oder Nervengewebeproben unter sterilen Bedingungen entnommen und anschließend unter standardisierten Bedingungen fixiert und gefärbt. Es kann anschließend beurteilt werden, ob die Anzahl der Nervenfasern im entsprechenden Entnahmeabschnitt regelrecht ist, ob Auffälligkeiten der Nervenfortsätze (Axone) oder der Isolierscheiden (Myelin) erkennbar und ob Entzündungszellen oder Eiweißablagerungen (Amyloid) nachweisbar sind, die Rückschlüsse auf die Ursache der Neuropathie ermöglichen würden. In Nervenbiopsien können darüber hinaus die Blutgefäße, in Hautbiopsien die Schweißdrüsen beurteilt werden.

Genetische Diagnostik

„Mutationen“ sind Veränderungen im Erbgut, die zu einem fehlerhaften Einbau von Körpereiweißen führen. Man kann sie sich vorstellen wie „Rechtschreibfehler“ im „Bauplan“. Genetische Untersuchungen sind nicht bei allen Neuropathien sinnvoll, sondern insbesondere dann, wenn es mehrere betroffene Familienmitglieder gibt oder typische Merkmale einer erblichen Neuropathie (wie zum Beispiel „Hohlfüße“, „Krallenzehen“ und andere) beobachtet werden können.

Bei einer Gensequenzierung werden Abschnitte des Erbgutes in einen Buchstabencode „übersetzt“, sodass sie mit einem gesunden Normalkollektiv aus verschiedenen Datenbanken verglichen werden können. Jeder Mensch verfügt über eine Vielzahl von Varianten im Erbgut, von denen die meisten „harmlos“, also gar nicht krankheitsrelevant ist. Die diagnostische Herausforderung ist es, herauszufinden, welche dieser Varianten möglicherweise in ursächlichem Zusammenhang mit der Erkrankung stehen könnten. Mögliche Ergebnisse der Testung sind somit:

  1. Ein Treffer, das heißt, es wird eine bereits bekannte und eindeutig krankheitsrelevante genetische Ursache in einem mit erblichen Neuropathien assoziierten Gen gefunden.  Mit diesem Ergebnis können die Prognose und die mögliche Weitergabewahrscheinlichkeit besser eingeschätzt werden. Eine ursächliche Therapie steht bislang für die meisten genetischen Ursachen erblicher Neuropathien aber (noch) nicht zur Verfügung.
  2. Ein negatives Testergebnis, das heißt, es kann keine ursächliche Veränderung gefunden werden, die die Erkrankung erklären kann. Dieses Ergebnis kann aber nicht zu 100% ausschließen, dass die Ursache der Erkrankung genetisch bedingt ist. Es gibt Gene und Krankheitsmechanismen, die noch nicht vollständig verstanden sind und den typischerweise angewandten Methoden entgehen können.
  3. Unklares Ergebnis, das heißt, es werden Varianten nachgewiesen, die möglicherweise zur Ausprägung der Erkrankung beitragen, deren alleinige Ursächlichkeit nach aktueller Datenlage aber nicht bewiesen werden kann.